Rede an meine Generation gerichtet an mein Spiegelbild, morgens, beim Rasieren
Wilfrid Jaensch
Category: Philosophy, Language: D, cover: PB, pages: 27, year: 1984.
Erschienen 1985 in der Zeitschrift "Individualität" Zürich, p164-172.
NEU: online (PDF) auf IBS (mit Erlaubnis des Autors)
NEU: online (PDF), Danish translation "Tale til min generation - Rettet mod mit spejlbillede under morgenbarberingen" on IBS (with permission of the translator Boskov Hansen, Ishøj, Danmark)
Hier ein Zitat aus dem Kapitel "Die Arthus-Bande":
- "Die Liebe ist bitter. Als wir noch Blumen warfen, warfen wir uns selbst, und zwar
in die Haltung und Pose der Macher, die «Liebe machen» können. An jener Stelle
meiner Rede sagte ich entsprechend: «Wir sind der Generator, der Erzeuger des
Nicht-Sinnlichen, das die Liebe ist, sonst nichts, und ohne sie sind wir sinnlos.»
Dieser Satz ist falsch. Dennoch musste ich ihn aussprechen. Denn meine Rede
wäre unwahrhaftig, würde ich nicht, über meine Generation sprechend, auch
ihren Irrtümern entsprechen, sogar im Aufbau meiner Rede. Wieviel musste ich
korrigieren! Nicht bloß die Irrtümer unserer Vorgänger, auch unsere eigenen,
auch meine eigenen. Erst in den 70er Jahren wurde unser Irrtum sichtbar, und
erst jetzt, wo diese Jahre zur Sprache kommen, kann ich den Satz richtigstellen.
Denn als unsere Generation plötzlich verschwand, was war es denn, das
verschwand? Nicht die Individuen verschwanden, im Gegenteil, die kamen erst
zum Vorschein. Was verschwand, war der Liebesrausch der späten 60er Jahre,
der eine Selbstberauschung war, übrigens die beste, die ich kenne. Aber
plötzlich sahen wir: Wir können nicht. Also sind wir nicht. Wir können nicht
lieben. Also sind wir nicht liebesfähig. Also haben wir uns verloren. Also haben
wir alles verloren, denn wir hatten nichts, außer uns selbst. Wir haben uns
soweit verloren, dass wir versuchten, die Sprache unserer Vorgänger zu sprechen,
welche in Hass und Mord besteht. Das war die bittere Lektion der 70er
Jahre. Wir sind nicht die Macher der Liebe. Die Liebe ist ihr eigener Generator.
Sie ist nicht mit uns identisch. Sie ist mit sich selbst identisch. Sie ist eine
Person. Diese Person meinen wir, wenn wir von Himmelskörper sprechen. In uns
wird sie nur bewusst. Generatoren sind wir also. Aber nicht der Liebe. Nur ihres Erwachens."
p.s.: Bei der
- "Alle bisherigen Verfassungen der Neuzeit,
auch das Bonner Grundgesetz, beginnen mit
einem schlechten Witz. Der Witz lautet:
»Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit« (Grundrechte, Artikel 2/1).
Ein Witz ist es deshalb, weil dieser »Jeder«
der Mensch ist, der sich selber die Verfassung gibt."
-- Wilfrid Jaensch, "Zeichen der Zeit. In welcher Verfassung sind wir?" (2001), p171-174 (PDF von www.erziehungskunst.de)
- "Trozkis Engel"
- "Meditation - Metamorphosen des Gebets - [Rudolf] Steiner zweigt: auch Atheisten beten"
- "Fünf Fragen an das kommende Jahrhundert"
- "Ein aktueller Beitrag zur Handlungsweise der Manichäer"
- "Der gerade Michael und der krumme Drache"
- "Vier Haltungen - [Rudolf] STEINERS ERBEN"
- "Metamorphosen des Gebetes"
- "Fünf Fragen an das kommende Jahrhundert"