Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts (GA 200)
Rudolf Steiner
Finde dieses Buch bei buch7.de | eurobuch.com | buchhandel.de | books.google.com ASIN=3727420006, Category: Philosophy, Language: D, cover: HC, pages: 154, year: 2003(1920).
Einige Zitate:
aus Vortrag 4 (Zu Schillers «Ästhetischen Briefen» und Goethes «Märchen von der grünen Schlange und
der schönen Lilie»):
- "dass diese ganze Abhandlung Schillers hervorgegangen ist aus
derselben europäischen Stimmung, aus der die Französische Revolution hervorgegangen ist.
[sich] im Westen geäußert hat als große politische Bewegung mit
der Hinorientierung auf äußere Umwälzungen, das bewegte Schiller, und es bewegte ihn so,
daß er suchte die Frage zu beantworten: Was muß der Mensch an sich selbst tun, um zu einem
wahrhaft freien Wesen zu werden?
- Im Westen stellte man die Frage: Wie müssen die äußeren sozialen Zustände werden, damit der Mensch in ihnen frei werden könne?
- Schiller frägt: Wie muß der Mensch selbst in sich werden, damit er in seiner Seelenverfassung die Freiheit darleben könne?
- Und Schiller stellt sich vor, daß, wenn die Menschen zu einer solchen mittleren Stimmung erzogen werden, sie auch ein soziales Gemeinwesen darstellen werden, in dem Freiheit herrscht; also auch ein soziales Gemeinwesen will Schiller auf die Weise verwirklichen, daß durch die Menschen die freien Zustände geschaffen werden, nicht durch äußere Maßnahmen. [...]
Goethe konnte aus der philosophischen Abhandlung Schillers nicht viel machen. Diese Art der Begriffsführung, der Ideenentwickelung war
Goethe nicht etwa fremd gewesen, [...] für Goethe war diese ganze Konstruktion
des Menschen, auf der einen Seite der Vernunfttrieb mit seiner logischen Notwendigkeit,
auf der anderen Seite der Sinnestrieb mit seiner sinnlichen Notdurft, wie Schiller sagte, und
der dritte, mittlere Zustand, das war für Goethe etwas viel zu Gradliniges, zu Einfaches.
Er empfand: So einfach kann man sich den Menschen nicht vorstellen, so einfach kann man auch
die menschliche Entwickelung nicht darstellen, und deshalb schrieb er an Schiller, er wolle
das ganze Problem, das ganze Rätsel nicht in einer solchen philosophisch verstandesmäßigen
Form behandeln, sondern bildmäßig [...] in seinem Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie
indem er in den beiden Reichen, diesseits und jenseits des Flusses, aber in bildhafter, mannigfaltiger, konkreter
Weise dasselbe hingestellt hat, was Schiller als Sinnlichkeit und als Vernunftmäßigkeit auf der anderen Seite hinstellte.
Und das, was Schiller bloß abstrakt als den mittleren Zustand
charakterisiert, das hat Goethe dann in der Aufrichtung des Tempels, in dem da herrscht der
König der Weisheit, der goldene König, der König des Scheines, der silberne König, der König
der Gewalt, der eherne, der kupferne König, und in dem zerfällt der gemischte König; das
hat Goethe in bildhafter Weise behandeln wollen.
[...] wie der goldene König entsprechen würde demjenigen sozialen
Gliede, das wir als das geistige Glied des sozialen Organismus bezeichnen; wie der König des
Scheines, der silberne König, entsprechen würde dem politischen Staate; wie der König der
Gewalt, der kupferne König, entsprechen würde dem wirtschaftlichen Gliede des sozialen
Organismus; und wie der gemischte König, der in sich selber zerfällt, den Einheitsstaat darstellt,
der in sich selber eben keinen Bestand haben kann. [...]
Goethe hat also gewissermaßen gesagt, als er Schillers «Ästhetische Briefe» bekam: So kann man das nicht machen; sie, lieber
Freund, stellen sich den Menschen viel zu einfach vor. Sie stellen sich drei Kräfte vor. So ist
es beim Menschen nicht. Wenn man dieses ganze reichgegliederte Innere des Menschen nehmen
und anschauen will, so bekommt man so ungefähr zwanzig Kräfte - die Goethe dann in
seinen zwanzig Märchengestalten bildhaft dargestellt hat -, und man muß dann das Spielen
und Ineinanderwirken dieser etwa zwanzig Kräfte auch in einer wesentlich weniger abstrakten Weise darstellen."