Über die letzten Dinge
Otto Weininger
Finde dieses Buch bei buch7.de | eurobuch.com | buchhandel.de | books.google.com ASIN=3882213205, Category: Philosophy, Language: D, cover: HC, pages: 212, year: 1980.
Online: "ÜBER DIE LETZTEN DINGE" bzw. besser lesbar
- "Individualität erlebt der Mensch
im Laufe seines Lebens nur im Nacheinander; darum ist die
Zeit unsittlich und kein lebender Mensch je heilig, vollkommen.
Handelt der Mensch ein einziges Mal mit dem stärksten Willen
so, daß alle Universalität seines Selbst (und der Welt; denn er
ist ja der Mikrokosmus) in den Augenblick gelegt wird, so hat
er die Zeit überwunden und ist göttlich geworden."
[...]
"Sittliches Gebot ist: In jeder Handlung soll die ganze Individualität des Menschen sichtbar werden, jede soll vollkommene Überwindung der Zeit, des Unbewußten, der Enge des Bewußtseins sein. Meistens tut der Mensch aber nicht, was er will, sondern was er *gewollt* hat. Er gibt sich durch seine Entschlüsse immer nur eine gewisse *Direktion*, in der er sich dann bis zum nächsten Momente der Besinnung bewegt. Wir wollen nicht fortwährend, wir sind nur zeitweise, schubweise wollend. So ersparen wir uns zu wollen: Prinzip der Ökonomie des Wollens[**]."
[...]
"eine Sittlichkeit, zu der ich gezwungen bin, ist schon keine mehr."
[...]
"Der Mann schämt sich darum der Krankheit, das Weib nie.
Auch die Gesetze der Logik, nicht nur die der Ethik, suchen wir ihrem eigentlichen Sinne nach immer besser zu verstehen und wollen sie immer richtiger aussprechen lernen. [...]
Die Kunst schafft, die Wissenschaft zerstört die sinnliche Welt; darum ist der Künstler erotisch und sexuell, der Wissenschaftler asexuell. Die Optik zerstört das Licht.
Die Diskontinuität im Zeitverlaufe ist das Unsittliche an ihm."
Zur Erkennungstheorie:
- "Ich vermag nie einzusehen, warum ich die Erbsünde beging,
wie das Freie unfrei werden konnte. Und warum?
Weil ich eine Sünde erst erkennen kann, wenn ich
sie nicht mehr begehe. Darum kann ich das Leben nicht begreifen,
solange ich das Leben begehe, und die Zeit ist das
Rätsel, weil ich sie noch nicht überwunden habe. Erst der Tod
kann mich den Sinn des Lebens lehren. Ich stehe in der Zeit
und nicht über der Zeit, ich setze die Zeit noch immer, verlange
noch immer nach dem Nichtsein, wünsche noch immer das materielle
Leben; und weil ich in dieser Sünde stehe, vermag ich
sie nicht zu fassen. Was ich erkenne, außerhalb dessen steh' ich bereits.
Meine Sündhaftigkeit kann ich nicht begreifen, weil ich immer noch sündhaft bin."
OW schreibt auch über das das Zeitproblem (p101):
- "Nur ideale Gegenwart kann zur realen
Zukunft werden: indem ich etwas will, schaffe ich Zukunft.
Man hat über den tieferen Grund der Einsinnigkeit der Zeit, ihres Vorschreitens nur in einem Sinne, ihrer Nicht-Umkehrbarkeit viel nachgedacht, aber nur Unsinn zutage gefördert.
Die Einsinnigkeit der Zeit ist mit dem Welträtsel (dem Rätsel des Dualismus) das tiefste Problem im Universum, und es ist nicht zu wundern, daß die hervorragendsten Denker der Welt - Plato, Augustinus, Kant, Schopenhauer - darüber sämtlich geschwiegen haben, auch dort, wo sie mit der Zeit selbst sich beschäftigten. [...] Die Einsinnigkeit der Zeit, d.h. das Nie-Wiederkehren des Vergangenen, ist aber der Grund aller jener besprochenen Phänomene des Widerstrebens gegen rückläufige, drehende Bewegungsformen. Diese Form der Bewegung ist, wie sich herausstellte, unethisch.
Daß die Zeit einsinnig ist, dafür muß demnach der
Grund im Moralischen liegen."
[...]
"Es ist unsittlich, zweimal dasselbe zu sagen [...]"
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warum hat gott seinen sohn auf diese erde geschickt, wenn sie nicht mittelpunkt des weltalls waere und sich nicht alle anderen himmelskoerper um sie drehten? -
gute frage!
galilei hat aus einem anderen grund widerrufen, aber ich werde mir die sache nochmal ueberlegen. ;)
*
-
Wäre die Sittlichkeit des Weibes echt, so müßte
sie schöpferisch sein.
In der Bedeutung, welche das geliebte Weib für den Mann hat, liegt der Zentralpunkt des Peer_Gynt, und man hoffe nicht, diesen zu verstehen, ehe man sich nicht über jene klar geworden ist.
Gewiß hat nur der Mann, nicht die Frau, ein Innenleben,* und auch der Mann um so mehr, je höher er steht. Der allgemeine Inhalt alles Innenlebens aber, wenn ich vom Sinnen an die Vergangenheit und vom Träumen einer Zukunft absehe, ist erkennende Selbst- beobachtung und moralische Selbstbewertung.
*) Das Innenleben der Frauen dauert immer höchstens neun Monate.
Kann ein Mensch — dies ist immer der Fall der Frauen — sich nicht von sich selbst aus und vor sich selbst Wert geben, so sucht er ihn von einem anderen, vor einem anderen zu erhalten: [...]
Die Liebe ist für den Menschen eine Möglich- keit und wohl die häufigste, leichteste Möglichkeit, zum Be- wußtsein seiner selbst, seiner Person, seiner Individualität, seiner Seele zu gelangen.
Man liebt und man haßt nur, womit man irgend eine Ähnlichkeit hat; womit er gar keine hat, das kann der Mann höchstens fürchten (das alte Weib ist jene Frau, die der Mann gar nicht versteht und nur fürchtet) ebenso wie er — die andere Grenze — das fürchtet, womit er vollkommen übereinstimmt (den Doppelgänger).
und so versuchen sie ihr Liebesbedürfnis an solchen zu befriedigen, die ihnen nicht gleichen; ohne daß ihnen dies der Natur der Sache nach je gelingen kann. Etwas lieben heißt: ihm Seele schenken, die eigene Seele völlig in es projizieren, allen Wert auf es häufen: dazu muß es indifferent oder ähnlich sein, aber nicht entgegengesetzt.
Daß der Mann im Weibe nur sich liebt, darauf komme ich noch zurück; aber auch sein Kind ist nur soweit sein Kind, als es er selbst ist.**
**) Wenn er es liebt, weil es der Mutter ähnelt, so liebt er eben auch sich; übrigens kommt dies wohl nur vor, wenn die Mutter früh ge- storben ist.
Daß es Väter und daß es Söhne gibt, ist im tiefsten Sinne nur einer der Ausdrücke des Dualismus im Wesen der Welt. Söhne Gottes sind die Menschen als geistige Wesen, wie Söhne leiblicher Menschen als Erdenkinder: genau gesproclien freilich bloß die Männer. Denn Gott hat keine Töchter; und nur insofern bedarf die Vor- stellung der Gotteskindschaft einer Korrektur. Der Sohn kann zur Freiheit nur auferstehen, indem er zum Vater emporsteigt, selbst aufhört bloß Sohn zu sein, und wieder eins mit dem Vater wird.
Hier liegt auch die Wurzel der Eifersucht, indem der Mann auf sein Selbst, auch wenn er es in der Frau lokalisiert hat, immer noch ein Recht zu besitzen glaubt. ***
***) Die Frauen sind nicht eifersüchtig in der leidenden Form, nur neidisch oder rachsüchtig. Denn sie haben kein Selbst, das sie wo anders zu behaupten suchen würden.
Sich selbst will der Mann auf dem Umwege der Frau wiederfinden.
Das Weib ist der höchsten, wie der niedersten Erotik eben doch nur Mittel zum Zweck.
"Du sollst sein allein die Meine. [...] Sei Dir mehr denn Gold und Steine. Scheiden wir, so ist das Leben Ausgelebt — das heißt, das Deine! All Dein Du, inbrünstiglich. Willenlos mir hingegeben, Sei erfüllt von meinem Ich." -- Henrik Ibsen "Peer Gynt"Aber alles Verhältnis des Mannes zur Frau ist Ent- eignung, Entrechtung, soweit es erotisch ist.
Darin liegt aber gerade die ganze sittliche Größe Ibsens und sein reiner Heroismus, daß er vom Manne verlangt, das Weib als selbständiges menschliches Wesen zu schätzen, die Idee der Menschheit auch in der Person des Weibes zu ehren, es nicht, wie in jeder Erotik, bloß als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, obwohl die Realität gerade dem von der erotischen Dunstwolke ungetrübten Blicke die Achtung vor dem Weibe — die das Weib der Wirklichkeit vom Manne freilich gar nie verlangt — so sehr erschwert.
die Dreiheit von Mann, Weib und Kind: es wird aber jetzt offen ausgesprochen, daß der Mann das Weib als selbständiges meta- physisches Wesen, als Seele, tötet, indem er es liebt, weil dieser Liebe das Weib nur Werkzeug ist, mit dem er leichter Arbeit an sich verrichte. Dieser Mord, den alle Liebe verübt, muß sich rächen; die Furcht des liebenden Mörders heißt Eifer- sucht, seine Reue ist das rätselhafte Schuldbewußtsein, das jeder Mann dem geliebten Weibe gegenüber empfindet; es gibt aber Furcht und Schuld nur wegen frei von der Person selbst verübten Unrechtes.
Warum wird der Mensch geboren, warum will der Mann zum Weibe? Das Problem der Liebe ist, so sehen wir hier, das Problem der Welt, das Problem des Lebens, das tiefste, unauf- lösbarste, der Drang der Form, Materie zu formen, der Drang des Zeitlosen in die Zeit, des Raumlosen in den Raum.
Der Mensch lebt so lange, bis er entweder in das Absolute oder in das Nichts eingeht. Er bestimmt selbst in Freiheit sein künftiges Leben: er wählt Gott oder das Nichts. Er ver- nichtet sich selbst oder schafft sich selbst zum ewigen Leben. Ein doppelter Progreß ist für ihn möglich: der zum ewigen Leben (zur vollkommenen Weisheit und Heiligkeit, zu einem der Idee des Wahren und Guten völlig adäquaten Zustande) und dem zur ewigen Vernichtung. Nach einer dieser beiden Richtungen aber schreitet er immer fort: ein drittes gibt es nicht.
Wenn ich nach höherem Leben strebe, so strebe ich nach etwas, dessen Begleiterscheinung höhere Lust ist, aber nicht nach der Lust selbst. Ebenso verlangt der Mann nach dem Weibe, das Weib nach dem Manne, nicht direkt nach der Lust.
Die Engländer sind sämtlich Masochisten, und vielleicht ihre Frauen darum oft so verkümmert in der Weiblichkeit.
In dem Worte Napoleons an seine Soldaten: "Du haut de ces pyramides quarante siècles vous contemplent", steckt etwas Metaphysisches, dessen ein echter Franzose und Sadist nicht fähig wäre.
Wo der Mann stiehlt, ist das Weib nur neidisch.
Der Unterschied zwischen Amoralischem (Weib) und Anti- moralischem (Verbrecher), wie ihre Verwandtschaft, liegen darin, daß das Weib heruntergesetzt werden will, während der böse Mann sich selbst heruntersetzt.
Das Weib hat keinen Sinn mehr, wenn der Mann keusch ist; dagegen wehrt es sich; es ruft unmerklich das Gefühl zur Mutter in Parsifal wach ("wann dann ihr Arm dich wütend um- schlang..."), hält ihm auch die von Wagner früher festgehaltene Erlösung des Mannes durch die Liebe als Möglichkeit vor. Das alles stellt Wagner hoch über Goethe, dessen letztes Wort doch nur das vom "Ewig- Weiblichen", die Erlösung des Mannes durch das Weib, war.
Dieses Weib, das menschliche Weib, die Dirne (nicht das tierische, die Mutter) haßt den Mann schwach, aber es haßt ihn doch;
Der Tanz ist eine weibliche Bewegung, und zwar vor allem die Bewegung der Prostitution. Man wird finden, daß ein Weib um so lieber, um so besser tanzt, je mehr es von der Dirne an sich hat.
so muß der Don Juan fortwährend Weiber haben, um sich nicht gewahr zu werden;
Weil nun alles Leben durch Liebe entsteht, das niedere durch Liebe zur Materie (Essen und Geschlechtsverkehr), das höhere durch Liebe zu Gott (geistige Nahrung; Liebe zu Gott kann Liebe zur Wahrheit, zum Guten, zum Schönen heißen), so ist Furcht das aller Sexualität und aller Erotik Entgegengesetzteste.**** Darum umschlingen sich Menschen, die getötet werden sollen, koitieren Mann und Weib, wenn ein Erdbeben sie zu vernichten droht. Darum sucht der Mensch (nicht nur des physischen Erfolges halber) stets Verbin- dung mit anderen, wenn er sich fürchtet; zwei Menschen schlafen zusammen, um leichter einer Furcht Herr werden zu können.
****) Im ersten Johannisbrief 4, 18 heißt es auch: [unlesbar; hab mit gugl die stelle, die OW evtl. in hebraisch zitiert nicht gefunden. in J 4:18 steht: "Wirkliche Liebe ist frei von Angst. Ja, wenn Gottes vollkommene Liebe uns erfüllt, vertreibt sie sogar die Angst. Wer sich also fürchtet und vor der Strafe zittert, bei dem ist Gottes Liebe noch nicht zum Ziel gekommen."]
Menschliches Bewußtsein ist nur durch den Gegen- satz möglich; die Gottheit inkarniert sich im Menschen, um dort im Kampfe gegen das Nichts ihrer selbst sich bewußt zu werden. So wie bei aller Erotik der Mann im Weibe, so will sich Gott im Menschen wiederfinden.
-- alle Zitate aus Otto Weininger, 1880-1903 Über die letzten Dinge (1907)