Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung
Otto Weininger
Finde dieses Buch bei buch7.de | eurobuch.com | buchhandel.de | books.google.com ASIN=3882213124, Category: Philosophy, Language: D, cover: HC, pages: 667, year: 1980(1903).
Kurzbeschreibung
Von den beiden Frauentypen, die Weininger unterscheidet, die absolute Mutter und die Hure, ist es in der aktuellen Phase unserer Kultur der zweite, der sich durchsetzt, in einem Grade, daß man ganz folgerichtig den Zeitpunkt vorausahnen kann, zu dem die -Mutter- verschwunden sein und die andere an ihrer Stelle triumphieren wird als die Unfruchtbare, in der die Idee der Mutterschaft erloschen ist. Was hierbei die Lust repräsentiert, ist genau das Gegenteil von dem, was die Mutterschaft repräsentiert. Die vom Mütterlichen befreite Sinnlichkeit. Eine Frau, die sich jedermann ganz -hingibt-, befreit mit einem Schlag die Gesellschaft von zwei Relikten: vom Mann als Vater und von der Frau als Mutter.
Wer Zusammenfassungen mag, der lese Kapitel 8 der Dissertation Der kranke Mann - Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900 von Andrea Kottow.
Hier einige Zitate aus der online-Version (alle Formate), entnommen aus dem rein Text von OWs 'Geschlecht und Charakter' ("M" steht fuer den [idealen] Mann und "W" fuer die [ideale] Frau und nicht etwa für die Männer oder die Frauen; die Hervorhebungen bitte im Original nachsehen):
- p43: Ganz jung, noch nicht 20 Jahre alt, wird man meist durch ältere Frauen (von über 35 Jahren) angezogen, während man mit zunehmendem Alter immer jüngere liebt; ebenso ziehen aber auch (Gegenseitigkeit!) die ganz jungen Mädchen, die »Backfische«, ältere Männer oft jüngeren vor, um später wieder mit ganz jungen Bürschlein nicht selten die Ehe zu brechen. Das ganze Phänomen dürfte viel tiefer wurzeln, als es nach der anekdotenhaften Art aussehen möchte, in der man meist von ihm Notiz nimmt.
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- p67f: Weibliche Männer haben oft ein ungemein starkes Bedürfnis zu heiraten, mögen sie
(was ich erwähne, um Mißverständnissen vorzubeugen) materiell noch so glänzend
gestellt sein. Sie sind es auch, die, wenn sie können, fast
immer sehr jung in die Ehe treten. Es wird ihnen oft besonders
schmeicheln, eine berühmte Frau, eine Dichterin oder Malerin, die
aber auch eine Sängerin oder Schauspielerin sein kann, zur Gattin zu haben.
p68f: Die sogenannten »Frauenkenner«, d. h. solche, die nichts mehr sind als nur »Frauenkenner«, sind darum alle zum guten Teile selbst Weiber. Die weiblicheren Männer wissen denn auch oft die Frauen viel besser zu behandeln als Vollmänner, die das erst nach langen Erfahrungen und, von ganz bestimmten Ausnahmen abgesehen, wohl überhaupt nie völlig erlernen.
p80: Die Emanzipation, die ich im Sinne habe, ist auch nicht der Wunsch nach der äußerlichen Gleichstellung mit dem Manne, sondern problematisch ist dem hier vorliegenden Versuche, zur Klarheit in der Frauenfrage zu gelangen, der Wille eines Weibes, dem Manne innerlich gleich zu werden, zu seiner geistigen und moralischen Freiheit, zu seinen Interessen und seiner Schaffenskraft zu gelangen. Und was nun behauptet wird, ist dies, daß W gar kein Bedürfnis und dementsprechend auch keine Fähigkeit zu dieser Emanzipation hat. Alle wirklich nach Emanzipation strebenden, alle mit einem gewissen Recht berühmten und geistig irgendwie hervorragenden Frauen weisen stets zahlreiche männliche Züge auf, und es sind an ihnen dem schärferen Blicke auch immer anatomischmännliche Charaktere, ein körperlich dem Manne angenähertes Aussehen, erkennbar.
p81: Gleich die erste der geschichtlichen Abfolge nach, gleich Sappho ist konträr sexuell, ja von ihr schreibt sich die Bezeichnung eines geschlechtlichen Verhältnisses zwischen Frauen untereinander mit dem Namen der sapphischen oder lesbischen Liebe her. [...] Denn Sappho [von Lesbos] leitet die Reihe jener Frauen, die auf der Liste weiblicher Berühmtheiten stehen und die zugleich homo- oder mindestens bisexuell empfanden, nur ein. Man hat Sappho von philologischer Seite sehr eifrig von dem Verdachte zu reinigen gesucht, daß sie wirkliche, das bloß Freundschaftliche übersteigende Liebesverhältnisse mit Frauen unterhalten habe, als ob dieser Vorwurf, wenn er gerechtfertigt wäre, eine Frau sittlich sehr stark herabwürdigen müßte. Daß dem keineswegs so ist, daß eine homosexuelle Liebe gerade das Weib mehr ehrt als das heterosexuelle Verhältnis, das wird aus dem zweiten Teile noch klar hervorgehen. Hier genüge die Bemerkung, daß die Neigung zu lesbischer Liebe in einer Frau eben Ausfluß ihrer Männlichkeit, diese aber Bedingung ihres Höherstehens ist.
Denn wie die bisexuellen Frauen entweder mit männlichen Weibern oder mit weiblichen Männern in geschlechtlichem Verkehre stehen, so werden auch die heterosexuellen Frauen ihren Gehalt an Männlichkeit noch immer dadurch offenbaren, daß ihr sexuelles Komplement auf Seite der Männer nie ein echter Mann sein wird.
p84: Und was die emanzipierten Frauen anlangt: Nur der Mann in ihnen ist es, der sich emanzipieren will.
p89: [Man] übersieht schließlich wiederum, daß auch heute nicht das wirkliche Weib die Forderung der Emanzipation erhebt, sondern daß dies durchwegs nur männlichere Frauen tun, die ihre eigene Natur mißdeuten und die Motive ihres Handelns nicht einsehen, wenn sie im Namen des Weibes zu sprechen glauben. [...] Jakob Burckhardt erzählt von der Renaissance: »Das Ruhmvollste, was da- mals von den großen Italienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüt hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Heldengedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um zu wissen, daß es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt. Der Titel einer 'Virago', den unser Jahrhundert für ein sehr zweideutiges Kompliment hält, war damals reiner Ruhm.«
p90: Ist es nicht sehr auffallend, daß die Frauenemanzipationsbestrebungen in der Weltgeschichte in konstanten Intervallen, in gewissen sich gleich bleibenden zeitlichen Abständen aufzutreten scheinen? [...] es würde die Tatsache, daß zu gewissen Zeiten mehr männliche Weiber geboren werden als sonst, als Pendant auf der Gegenseite verlangen, daß in der gleichen Zeit auch mehr weibliche Männer auf die Welt gebracht werden. Und dies sehen wir in überraschendem Maße ebenfalls zutreffen. Der ganze »sezessionistische Geschmack«, der den großen, schlanken Frauen mit flachen Brüsten und schmalen Hüften den Preis der Schönheit zuerkennt, ist vielleicht hierauf zurückzuführen.
p93: Die wahre Befreiung des Geistes kann nicht von einem noch so großen und noch so wilden Heere [das Korps der Amazonen] gesucht werden, um sie muß das einzelne Individuum für sich allein kämpfen. Gegen wen? Gegen das, was im eigenen Gemüte sich dawiderstemmt. Der größte, der einzige Feind der Emanzipation der Frau ist die Frau.
p106: »Die Frau verrät ihr Geheimnis nicht.«
-- Kant.
»Mulier taceat de muliere.« [Die Frau soll schweigen von der Frau.]
-- Nietzsche.
p110: Daß W der Detumescenztrieb fehlt, wird auch durch die Tatsache bewiesen, daß die meisten Menschen, die über [zweidrittel] M enthalten, ohne Ausnahme in der Jugend der Onanie auf längere oder kürzere Zeit verfallen, einem Laster, dem unter den Frauen nur die mannähnlichsten huldigen. W selbst ist die Masturbation fremd. Ich weiß, daß ich hiemit eine Behauptung aufstelle, der schroffe gegenteilige Versicherungen gegenüberstehen. Doch werden sich die scheinbar widersprechenden Erfahrungen alsobald befriedigend erklären.
p108: Wir werden also schon hier darauf aufmerksam, daß ein Mann Weibliches in bestimmtem Maße in sich haben kann, ohne darum in gleichem Grade schon eine sexuelle Zwischenform darzustellen.
p111: Der Wunsch nach der sexuellen Excitation ist insoferne ein wirkliches Zeichen der leichten Erregbarkeit, als dieser Wunsch nicht etwa einer jener Wünsche ist, welchen das in der Natur eines Menschen selbst gegründete Schicksal nie Erfüllung gewähren kann, sondern im Gegenteile die hohe Leichtigkeit und Willigkeit der Gesamtanlage bedeutet, in den Zustand der sexuellen Erregtheit überzugehen, der vom Weibe möglichst intensiv und möglichst perpetuierlich ersehnt wird und nicht, wie beim Manne, mit der in der Kontrektation erreichten Detumescenz ein natürliches Ende findet. Was man für Onanie des Weibes ausgegeben hat, sind nicht wie beim Manne Akte mit der immanierenden Tendenz, den Zustand der sexuellen Erregtheit aufzuheben; es sind vielmehr lauter Versuche, ihn herbeizuführen, zu steigern und zu prolongieren.
p112: Der Zustand der sexuellen Erregtheit bedeutet für die Frau nur die höchste Steigerung ihres Gesamtdaseins. Dieses ist immer und durchaus sexuell. W geht im Geschlechtsleben, in der Sphäre der Begattung und Fortpflanzung, d. i. im Verhältnisse zum Manne und zum Kinde, vollständig auf[**], sie wird von diesen Dingen in ihrer Existenz vollkommen ausgefüllt, während M nicht nur sexuell ist.
p113: Dem entsprechend sind es ausschließlich weiblichere Männer, die in einem fort hinter den Frauenzimmern her sind und an nichts Interesse finden als an Liebschaften und an geschlechtlichem Verkehre. Doch soll hiemit keineswegs das Don Juan-Problem erledigt, oder auch nur ernstlich berührt sein.
p115: Der wahre Unterschied liegt hier darin, daß für M der Begattungstrieb sozusagen ein pausierendes Jucken, für W ein unaufhörlicher Kitzel ist.
p115: Das Weib ist fortwährend, der Mann nur intermittierend sexuell.
p116: Es fehlt den Frauen, weil sie nur sexuell sind, die zum Bemerken der Sexualität wie zu allem Bemerken notwendige Zweiheit
p117: Es erhebt sich also hier die Frage nach der Natur des weiblichen Bewußtseins überhaupt, und die Erörterungen über dieses Thema werden uns erst auf einem langen Umweg zu jenem hier so flüchtig gestreiften Punkte wieder zurückführen.
Der Mann hat die gleichen psychischen Inhalte wie das Weib in artikulierterer Form; wo sie mehr oder minder in Heniden[*] denkt, dort denkt er bereits in klaren, distinkten Vorstellungen, an die sich ausgesprochene und stets die Absonderung von den Dingen gestattende Gefühle knüpfen. Bei W sind »Denken« und »Fühlen« eins, ungeschieden, für M sind sie auseinanderzuhalten. W hat also viele Erlebnisse noch in Henidenform, wenn bei M längst Klärung eingetreten ist. Darum ist W sentimental, und kennt das Weib nur die Rührung, nicht die Erschütterung.
p121: Erblickt ein Mensch einen Frauenkopf, der auf ihn einen sehr starken sinnlichen Eindruck macht, für einen »Augenblick«, so vermag er oft sich selbst gar nicht zu sagen, was er eigentlich gesehen hat, es kann vorkommen, daß er nicht einmal an die Haarfarbe genau sich zu erinnern weiß.
p129f: kurz und gut, warum eine Frau es eben als Kriterium der Männlichkeit fühlt, daß der Mann ihr auch geistig überlegen sei, von dem Manne mächtig angezogen wird, dessen Denken ihr imponiert, und damit, ohne es zu wissen, das entscheidende Votum gegen alle Gleichheitstheorien abgibt.
M lebt bewußt, W lebt unbewußt. Zu diesem Schlüsse für die Extreme sind wir nun berechtigt. W empfängt ihr Bewußtsein von M: die Funktion, das Unbewußte bewußt zu machen, ist die sexuelle Funktion des typischen Mannes gegenüber dem typischen Weibe, das zu ihm im Verhältnis idealer Ergänzung steht.
p218: Ein Mensch hat immer so viel Arroganz, als ihm Selbstbewußtsein fehlt.
p363: Die »Spaltungen der Persönlichkeit« sind eben nur dort möglich, wo von Anfang an keine Persönlichkeit da ist, wie beim Weibe.
p390: Für die Frau gibt es nirgends Grenzen ihres Ich, die durchbrochen werden könnten, und die sie zu hüten hätte. Hierauf beruht zunächst der Hauptunterschied zwischen männlicher und weiblicher Freundschaft. Alle männliche Freundschaft ist ein Versuch zusammenzugehen unter dem Zeichen einer und derselben Idee, welcher die Freunde, jeder für sich, gesondert und doch vereint, nachstreben; die weibliche »Freundschaft« ist ein Zusammenstecken, und zwar, was besonders hervorzuheben ist, unter dem Gedanken der Kuppelei. [...] Die männliche Freundschaft scheut das Niederreißen von Mauern zwischen den Freunden. Freundinnen verlangen Intimitäten auf Grund ihrer Freundschaft.
p392: Ferner gewinnt über den Mann der Gedanke an den fremden Koitus nie völlig Gewalt, er steht außer und über einem solchen Erlebnis, das für ihn eigentlich gar keines ist; die Frau aber verfolgt den Prozeß kaum selbsttätig, sie ist in fieberhafter Erregung und wie festgebannt durch den Gedanken, was hart neben ihr sich vollzieht.
Anmerkungen:
*) zum Begriff Henide, siehe p125:
"Es wird also derjenige, welcher diese Einteilung
für alle Data der entwickelten Psyche acceptiert, für
die Inhalte in jenem Stadium, wo eine solche Zweiheit an
ihnen noch nicht unterscheidbar ist, einen eigenen Namen
einzuführen genötigt sein. Es sei, ohne alle über den Rahmen
dieser Arbeit hinausgehenden Ansprüche, für psychische Data
auf jenem primitivsten Zustande ihrer Kindheit das Wort
»Henide« vorgeschlagen (von έν, weil sie noch nicht Empfindung
und Gefühl als zwei für die Abstraktion isolierbare
analytische Momente, noch keinerlei Zweiheit erkennen lassen)."
[Siehe auch Erklärungsversuch: Was sind »Heniden«? ]
**) Hervorhebung im Original. (Man könnte hierzu anfügen:
"Women have simple tastes. They get pleasure out of the conversation of children in arms and men in love."
-- H. L. Mencken)